Dorfstraße mit Drehleiherspieler

künstler:Adriaen van Ostade
(1610-1685)
datierung:undatiert
technik:Öl auf Holz
maße:25,7,2 x 20,6 cm

Adriaen van Ostade zeigt in dieser Szene Mitgefühl und soziale Distanz zugleich. Das Motiv verweist auf christliche Barmherzigkeit, spiegelt aber auch die ambivalente Haltung gegenüber Armut in der niederländischen Genremalerei.

Randfiguren im Fokus

Vor einem schrägperspektivisch erfassten Bauernhaus hat sich ein Bettler eingefunden, der mit seinem Drehleierspiel auf Gaben hofft. Um ihn hat sich bereits ein kleines Publikum geschart, Kinder wie Erwachsene. Auch der ältere Hausbesitzer, trotz wohlwollender Neugier im Türrahmen sicheren Abstand wahrend, bildet mit den draußen Zuhörenden ein kleines Ensemble.

Die Drehleier, auch Bauern- oder Bettlerleier genannt, war mit ihren langgezogenen, klageähnlichen Tönen im Armenmilieu ein besonders häufiges Instrument, bevor es im 18. Jahrhundert Eingang in die höfische Musikwelt fand. Bettelnde, die eine minimale Leistung in Form einer kleinen musikalischen Darbietung boten, erfreuten sich höherer Wertschätzung als ihre lediglich klagenden Schicksalsgenoss:innen. Sie konnten darauf hoffen, häufiger mit Almosen bedacht zu werden.

Die niederländische Genremalerei hat seit ihrer Herausbildung im frühen 16. Jahrhundert dem Bettlerthema besondere Aufmerksamkeit zugewandt und es vorzugsweise im dörflichen Milieu angesiedelt. In der unübersehbaren Existenz von Erwerbsunfähigen, auf die Hilfe ihrer Mitwelt Angewiesenen lag die ständige Aufforderung zu karitativem Handeln, wie es der im späten Mittelalter in die Bildwelt eingeführte Kanon der „Sieben Werke der Barmherzigkeit“, der misericordia, festgelegt hatte. Diese auf dem christlichen Gebot der Nächstenliebe basierende Grundeinstellung schloss freilich nicht aus, dass gegenüber dieser beachtlichen Gruppe außerhalb der bürgerlichen Norm mit ihrem Appell zu eigenständigem, ehrbarem Broterwerb stets Skepsis, ja Ablehnung und Furcht mitschwangen.

Der in Haarlem wirkende Adriaen van Ostade hat diesem Thema in seinem Werk einen besonderen Platz eingeräumt. Jener Bereich des Genres, der den niederen Volksschichten vorbehalten ist, hat durch Ostade eine eigenständige Prägung erhalten.

Text: Ulrich Becker