Eislaufen vor einer Stadt

künstler:Nicolaes Molenaer
(1630-1676)
datierung:undatiert
technik:Öl auf Holz
maße:39,8 x 55,8 cm
Hier befindet sich ein Gemälde mit eislaufenden Menschen auf einem zugefrorenen See oder Fluss. Zu sehen sind eine kleine Kirche sowie einige Häuschen, die an ein zugefrorenes Gewässer angrenzen, auf dem mehrere Menschengrüppchen eislaufen. Eine Person im Vordergrund ist offenbar gestürzt. Ebenfalls auf dem Eis abgebildet sind ein kleiner Hund sowie ein weißes Pferd im Hintergrund. Links ragt ein kahler Baum in den grau bewölkten Himmel. Die Farben sind dunkel gehalten.

Das winterliche Ortsbild zeigt eine friedliche Szenerie auf dünnem Eis – buchstäblich und sinnbildlich. Inmitten wirtschaftlicher Stärke und kultureller Blüte bleibt das Bewusstsein für die Verwundbarkeit von Land, Klima und Frieden stets präsent.

Schnee über Stille

Ein freistehendes, schmales Giebelhaus und ein massiver Kirchturm beherrschen die winterliche Szenerie: Sie zeigen an, dass das muntere Treiben auf dem zugefrorenen Gewässer in unmittelbarer Nähe einer Stadt angesiedelt ist, es handelt sich vermutlich um den alten Befestigungsgraben. Der Horizont ist niedrig angesetzt, der Blick wandert in die Tiefe; das flache Land und die zugefrorene Wasseroberfläche scheinen mit dem gleichfalls in Grau gekleideten Himmel eins geworden zu sein. Bei aller Sorglosigkeit des Bildgeschehens ist jener Temperaturschock der „Kleinen Eiszeit“, wie er zu den Grunderfahrungen der Frühen Neuzeit gehörte, deutlich spürbar.

Ortsbilder sind ein fester Bestandteil der niederländischen Landschaftsmalerei des sogenannten Goldenen Zeitalters. Auch wenn sie oft nicht näher zu bestimmen sind, spiegeln sie auf authentische Weise den Charakter des Landes wider: Bereits damals bildeten die flachen, am Meer gelegenen Kernregionen der Niederlande, die Provinzen Nord- und Südholland, einen Ballungsraum von großer wirtschaftlicher Bedeutung, der nicht nur von den großen städtischen Zentren, sondern auch von einer Vielzahl kleinerer Orte in unmittelbarer Nachbarschaft geprägt wurde.

Das Gemälde schildert freilich nicht nur die Strenge der Jahreszeit, sondern beschreibt auch einen Zustand, wie er in jener Epoche die große Ausnahme ist: Es herrscht Friede, wenigstens zu Lande, Kriege finden vor allem zur See statt. Die hier dargestellte kleine Stadt ist nach neuzeitlichen Maßstäben wehrlos, sie muss im Augenblick keinen Feind fürchten, der Befestigungsgraben dient allein friedlichen Zwecken. Doch ist auch dieser Friede bedroht, wie es die französische Invasion von 1672 mit ihren verheerenden Folgen zeigt. Er ist höchst zerbrechlich, genauso wie das dünne Eis, auf dem sich die Menschen vergnügen, oder die Deiche, die gegen die Fluten des nahe gelegenen Meeres schützen sollen. Bei aller ökonomischen Stärke und kulturellen Blüte sind sich die Niederländer:innen bis heute der Tatsache bewusst, dass sie in einem verwundbaren Land leben.

Text: Ulrich Becker