
Im 17. Jahrhundert entwickelte sich die Küstenlandschaft in den Niederlanden zu einem eigenständigen Bildthema neben der heroischen Marinemalerei. Künstler wie Jan van Goyen hielten in zurückhaltenden Tönen das alltägliche Leben und das typische Meeresklima eines vom Handel geprägten Landes fest.
Meer und Identität
Die überragende Rolle, die das Meer für die Entstehung und das Wachstum der Niederlande spielte, ließ im sogenannten Goldenen Zeitalter einen eigenen Bildtypus entstehen: die Küstenlandschaft. Zu dieser Zeit erlebte auch die niederländische Marinemalerei ihre größte Blüte: Allein die Seesiege, die den Aufstieg der jungen Republik im Kampf gegen Spanier und Engländer begleiteten, verlangten nach ebenso detaillierter wie spektakulärer Schilderung in teilweise sehr großen Formaten. Ziel war es, das Publikum patriotisch einzustimmen und in seiner Selbsteinschätzung als auserwähltes Volk Gottes zu bestätigen.
Demgegenüber bietet die Küstenschifffahrt, die für die Niederlande in gleichem Maße lebenswichtig war, ein völlig anderes Bild, dem jegliches propagandistische Moment abgeht. Die niedrigen Transportschiffe mit ihrem geringen Tiefgang, wie sie Küsten, Flussläufe und Kanäle beherrschten, stellten die Verbindung zwischen den einzelnen Zentren her und sicherten die Versorgung des Landes. Von unspektakulärer Erscheinung scheinen die trägen Fahrzeuge eins mit dem sie tragenden Element zu sein, repräsentieren aber nicht weniger als Logistik und Infrastruktur eines Staates, der ganz vom Warenverkehr abhing.
Jan van Goyens Szenerien wirken ruhig und verhalten. Sie zeichnen sich durch eine Maltechnik aus, die anstelle bunter Lokalfarben aus relativ wenigen Farben eine Vielzahl einander benachbarter Töne gewinnt. Mit der geschilderten und dramatischen Atmosphäre steht sie in vollem Einklang. Auf diese Weise erzielte der Maler eine wirklichkeitsnahe Charakterisierung jenes dunstigen, feuchten Meeresklimas, wie es für die Niederlande noch heute bezeichnend ist.
Text: Ulrich Becker